Unser Schrebergarten

Wir schreiben das Jahr 1995. Es ist ein heißer Sommertag am Wochenende. Im Radio in der Küche läuft „Conquest of Paradise“ während meine Mutter Obst schneidet.
„Hörmal Maus, ich habe deinen Badeanzug ins Bad gelegt, der war schon trocken, den kannste gleich direkt wieder anziehen“ sagte sie mir als ich die Küche betrat. Ich ziehe meinen Badeanzug an, Shorts und Shirt drüber. Meine hellblonden langen Haare binde ich zu einem Pferdeschwanz zusammen, Papa hilft mir dabei, der kann das sehr gut.

Dann meine blaue Lieblings-Cappy mit gelben Schirm und gelbem Stern vorne drauf. In meinen Rucksack kommt meine Lupe, die neuste Ausgabe der Mickey Maus, das Papp-Teleskop aus dem letzten Yps-Heft und das Klettball-Spiel. Ich bin fertig zur Abfahrt, meine Eltern packen gerade noch die Kühlbox voll mit Grillfleisch, die große Schüssel Nudelsalat darf auch nicht fehlen.

Die Fahrt zu unserem Schrebergarten mit unserem weißen Mazda Stufenheck dauert ca. 10 Minuten. Opa ist schon seit heut morgen früh da. Da kann er sich in Ruhe um seine Gemüsepflanzen kümmern bis meine Eltern und ich, meine Tante und Onkel mit meinen beiden Cousins und meiner Cousine ankommen. Als wir eintreffen steht Opa gerade auf der obersten Stufe des Gartenhäuschens und schiebt sich das letzte Stück Graubrot mit Blutwurst in den Mund. In der anderen Hand hält er ein gespültes und umfunktioniertes Senfglas mit Apfelschorle. „Ihr seid aber früh!“ Murmelte er mit vollem Mund und drehte sich auf der Schwelle um um sein Glas abzustellen um den Tisch von seinen Kreuzworträtseln und der Tüte Rosinen freizuräumen. Ich drücke ihn im Vorbeigehen, er erwidert nur kurz und geht dann weiter. „Wir haben uns doch erst gestern gesehen“ entgegnete er mir. „Mir egal!“ Konterte ich und gehe direkt rechts an ihm vorbei zur Schaukel.

Papa räumt die Kühlbox aus und räumt die Lebensmittel in unsere Kühltruhe neben dem Gartenhäuschen. „Schau mal Laura, probier das mal aus ob das Spaß macht“ Opa drückte mir ein kleines Skateboard in die Hand was er selber zusammengebaut hat. Es ähnelte eher einem Rollbrett um schwere Lasten schieben zu können als an ein Skateboard aber Opa war immer sehr kreativ und hat mir und meinen Cousins und meiner Cousine immer viel gebastelt und selbst gebaut.

Bis heute steht die selbst gebaute Puppenstube inklusive Mobiliar sicher verpackt im Keller. Aber das ließ ich mir nicht 2x sagen, sprang von der Schaukel und probierte das improvisierte Rollbrett direkt aus. Und schon kam der Rest der Sippschaft durch das quietschende Holztürchen rein. „Hallooooo zusammen!“ rief meine Tante Gudrun schwer bepackt. Meine beiden Cousins kommen auf mich zugelaufen. Sven, der 2 Jahre älter ist als ich ist einen guten Kopf größer, hat einen braunen Topfhaarschnitt und ist immer braun gebrannt und gut im Futter wie mein Opa sagen würde. Jens ist genauso alt wie ich, dünn und schlaksig und hat einen blonden Topfhaarschnitt und genau wie ich immer blutige oder verkrustete Knie. Meine kleine Cousine Johanna, gut im Futter und wasserstoffblonde lange Haare kann gerade laufen und tapert unsicher und wankend mit lautem Lachen hinter ihren Brüdern her. Opa wird im Vorbeilaufen begrüßt und hinten im Schuppen der Rasensprenger rausgeholt. „Papa Papa kannst du uns den anschließen?“ ruft Sven ganz hektisch während er schon seine Badehose aus der großen Tasche zieht die meine Tante Gudrun gerade abstellt. Opa sitzt anteilnahmelos am Tisch draußen und starrt mit leerem Blick auf sein Kreuzworträtsel. Den Blick kenne ich, das ist der „ich-vermisse-Oma-Blick“. Ihr Lachen hallt bis heute durch den Garten, obwohl sie schon seit 2 Jahren nicht mehr bei uns ist.

Ich drücke Opa einen Kuss auf die Wange und lege ihm einen Keks auf sein Kreuzworträtsel den ich gerade aus dem Gartenhäuschen geholt hatte. Während die Erwachsenen Getränke kalt stellen, Obst in Schüsseln raustragen und sich am Tisch bequem machen springen wir in unseren Badesachen fröhlich durch den Rasensprenger den mein Onkel auf der Rasenfläche hingestellt hat. Das war unser Pool. Am Nachmittag dürfen wir uns wieder am nahegelegenen Büdchen unser wohlverdientes Eis holen. Sven, der Älteste geht immer Barfuß zum Büdchen, dafür bewundere ich ihn sehr, denn vor unserem Schrebergarten auf dem Weg liegt sehr viel Rollsplitt. Eine kleine Abkürzung haben wir aber auch schon ausfindig gemacht. Wir müssen nur bis zum Schrebergarten auf der Ecke da vorne und dann links durch die Hecke, da ist eine kleine Lücke und wir passen da ganz wunderbar durch. Dann ein kleines Stück über eine kleine Wiese mit einer riesigen Pappel und dann auf der rechten Seite kann man das Büdchen schon sehen. Sehr urig alles aus dunklem Holz, vor dem Eingang steht ein großes Schild was die üppige Eisauswahl anpreist. Calippo Cola oder Nogger? Beim Betreten des Büdchens schlägt direkt der kalt feuchte Kellergeruch ins Gesicht. Zielstrebig gehen Sven und Jens zur großen Tiefkühltruhe auf der rechten Seite und holen 4 Eis raus. Johanna kriegt natürlich auch eins, auch wenn sie noch nicht mitkommen kann. Nächsten Sommer kann sie das bestimmt. 2x Calippo Cola, 1x Ed von Schleck und 1x Split – „3 Mark 30 macht das“ murmelte der Büdchenbesitzer in seinen zersauselten und von Nikotin gelb-gefärbten grauen Bart und streckte seine Hand mit schwarzen Nagelrändern uns entgegen. Sven drückt ihm das Geld in die Hand und wir sind froh wieder draußen in der angenehmen Wärme der Sonne zu stehen. Jetzt schnell zurück sonst schmilzt alles. Auf dem letzten Stück zurück zu unserem Türchen machen wir ein kleines Wettrennen. Selbst dort gewinnt Sven obwohl er barfuß ist. Was ein zäher Hund! Am Tisch vor dem Gartenhäuschen angekommen und das Eis ausgepackt verputzen wir unter lautem Schmatzen und den leisen Radioklängen von Take That „Back for Good“ unsere Errungenschaften. In der heißen Nachmittagssonne wird’s sehr ruhig. Opa liegt auf seiner Liege und schnorchelt ganz friedlich vor sich hin. Papa repariert das selbstgebaute Regal hinterm Gartenhäuschen sporadisch mit Gaffertape. Mama und Tante Gudrun lesen in ihren Romanen. Johanna hält im Gartenhäuschen auf der Sitzbank ein Mittagsschläfchen. Ich lese in meinem Mickey Maus-Heft und beobachte Jens und Sven wie sie auf dem Bauch auf der Wiese liegen und aus den Eisstäbchen kleine Brücken für Ameisen bauen. Nach nicht allzu langer Zeit und bevor alle ins Delirium fallen klappt meine Mutter ihr Buch zu und steht auf: „So, ich bereite jetzt mal das Essen vor!“ Als wäre es wie ein Startschuss streckt Papa seinen Kopf am Gartenhäuschen vorbei und ruft „Ich kümmer mich um den Grill!“ „Ich helfe dir!“ Ruft mein oberkörperfreier Onkel von seiner Liege und steht im selben Moment auf um in seine Adiletten zu schlüpfen und sich ein Oberteil anzuziehen. Bis in die späten Abendstunden sitzen wir zusammen und essen und lachen. Später wird noch eine Runde Mau-Mau und Kniffel mit allen gespielt. An die Rückfahrt nach Hause kann ich mich gar nicht mehr erinnern, meistens schlafe ich irgendwo ein und Papa trägt mich dann ins Bett. Und wenn ich dann doch wach wurde konnte ich immer wieder sehr schnell einschlafen weil ich wusste, morgen gehts wieder in unseren Schrebergarten.